Das Umsatzsteuerrecht der Europäischen Union (EU) ist noch immer auf dem Stand von vor fast 30 Jahren. Um diese für den Onlinehandel so wichtige Steuerart mit unserem digitalen Zeitalter kompatibel zu machen, einigten sich alle Mitgliedstaaten der EU bereits Ende 2017 auf eine umfassende Reform – mit dem sogenannten One-Stop-Shop (OSS) als zentrales Element.
Die Umsetzung sollte eigentlich zum 1.1.2021 erfolgen. Da viele Mitgliedstaaten jedoch Probleme hatten, die Technologie des OSS bereitzustellen, wurde der Stichtag vom 1.1.2021 auf den 1.7.2021 verschoben.
Um zu verstehen, was sich grundlegend ändert, sollten wir mit der Rechtslage beginnen, die für alle Verkäufe gilt, die bis zum 30.06.2021 ausgeführt wurden.
Grundsätzlich gilt bereits seit 1993, dass jeder grenzüberschreitende Verkauf an Endverbraucher innerhalb der EU im Bestimmungsland – dort wo der Verbraucher die Ware empfängt – zu versteuern ist.
Damit sich kleine und mittlere Unternehmen (KMU) nicht in jedem EU-Staat, in den sie Ware senden, ab dem ersten Euro umsatzsteuerlich registrieren und auf die Suche nach einem lokalen und möglicherweise kostenintensiven Steuerberater machen müssen, wurden die Lieferschwellen eingeführt. Bis zu dieser Grenze dürfen Onlinehändler ihre grenzüberschreitenden Lieferungen innerhalb der EU weiterhin im Sitzstaat versteuern.
Wird dieser Schwellenwert überschritten muss jeder Onlinehändler bzw. seine Steuerberater Folgendes im Blick behalten:
Ab dem 1. Juli 2021 fallen die Lieferschwellen aller EU-Staaten weg. Ab diesem Zeitpunkt ist dann grundsätzlich jede grenzüberschreitende Lieferung an einen Endverbraucher innerhalb der EU im Bestimmungsland steuerpflichtig.
Dabei ist es völlig egal, wo die Lieferung beginnt oder endet.
Beispiele: Eine Lieferung aus den Niederlanden nach Deutschland ist dann immer in Deutschland steuerpflichtig. Eine Lieferung aus Spanien nach Frankreich, immer in Frankreich. Eine Lieferung aus Polen nach Tschechien, in Tschechien, …
Es wird ab dem 1. Juli lediglich eine kleine EU-weite Schwelle in Höhe von 10.000 Euro geben.
Das bedeutet, solange ihr mit euren grenzüberschreitenden Lieferungen (und digitalen Dienstleistungen) an Endverbraucher in alle EU-Staaten unter 10.000 Euro netto bleibt, könnt ihr diese Umsätze weiterhin bei euch zu Hause versteuer. Sobald ihr aber über die 10.000 Euro netto kommt, sind alle Lieferungen (und digitale Dienstleistungen) immer im Bestimmungsland steuerpflichtig.
Beispiel: Ihr verkauft ab Waren im Wert von 9.950 Euro an Endverbraucher nach Frankreich. Solange ihr keine weiteren grenzüberschreitenden Umsätze an Endverbraucher in der EU habt, könnt ihr diese Umsätze weiterhin bei eurem Finanzamt versteuern. Kurze Zeit später schickt ihr jeweils ein Paket nach Rumänien und eines nach Luxemburg. Diese beiden Pakete müsst ihr dann jeweils in Rumänien und in Luxemburg versteuern, da ihr die 10.000-Euro-Grenze überschritten habt.
Wichtig: Auch wenn diese Regelung erst ab dem 1. Juli 2021 gilt, wird die Frage, ob ihr die 10.000-Euro-Grenze zum 1. Juli 2021 überschritten habt, bereits aufgrund eurer Umsätze des 1. Halbjahres 2021 und sogar des Jahres 2020 bemessen.
Wer also bereits in 2021 oder in den ersten sechs Monaten des Jahres 2021 über die 10.000 Euro gekommen ist, ist unmittelbar ab dem 1. Juli mit allen grenzüberschreitenden Lieferungen in der EU immer im Bestimmungsland steuerpflichtig.
Muss man sich dann in allen EU-Staaten lokal registrieren, so wie es bis zum 30.06.2021 der Fall war? Nein!
Müsste man sich ab dem 1. Juli weiterhin lokal im Ausland steuerlich registrieren, würde diese Gesetzesreform alles noch komplexer machen, als es vorher der Fall war.Aus diesem Grund implementieren alle EU-Staaten für ihre Unternehmen jeweils einen sogenannten One-Stop-Shop.
Onlinehändler, die aufgrund ihrer grenzüberschreitenden Verkäufe an Endverbraucher zukünftig in anderen EU-Staaten steuerpflichtig werden, können ihre Umsätze über den One-Stop-Stop melden und dort ebenfalls die Begleichung ihrer Umsatzsteuerschuld vornehmen.
Der Vorteil ist, dass die Rahmenbedingungen für die OSS-Erklärungen in allen EU-Staaten identisch sind.
Die Nutzung des OSS ist freiwillig. Verwendet man ihn allerdings, müssen zwingend alle grenzüberschreitenden Lieferungen an Endverbraucher für alle EU-Staaten darüber gemeldet werden.
Onlinehändler können sich stattdessen auch weiterhin lokal registrieren, sollten aber beachten, dass sie sich in diesem Fall aufgrund des niedrigen Schwellenwertes von 10.000 Euro z.B. selbst bei nur einem Paket nach Malta auch dort registrieren müssten.
Auch können nicht alle Transaktionen im E-Commerce über den OSS gemeldet werden.
Verwendet ihr Warenlager im EU-Ausland – z.B. im Rahmen von Amazon Pan EU, Amazon CEE oder Zalando Fulfillments, benötigt ihr in diesen EU-Staaten zwingend eine lokale Registrierung, da viele der damit zusammenhängenden Transaktionen nicht über den OSS gemeldet werden können.
So müssen z.B. weiterhin lokal gemeldet werden:
Eine Herausforderung, die ab dem 1. Juli immer gelten wird, ist die Frage, wie bestimme ich die Steuersätze für alle EU-Staaten?
Führt man sich vor Augen, dass durch den Wegfall der Lieferschwellen grenzüberschreitende Lieferungen an Endverbraucher in nahezu jedem EU-Staat steuerpflichtig sein werden, kann man sich zu Recht fragen: Woher weiß man, welcher Steuersatz für welches Produkte in welchem EU-Staat gilt?
Das Thema Steuersätze und Umsatzsteuer innerhalb der EU ist recht kompliziert. Das EU-Recht erlaubt die folgende Bandbreite und bietet daher viel Spielraum.
Das Beispiel Kaffee verdeutlicht das Problem recht gut. In Deutschland z.B. wird Kaffee wie viele andere Lebensmittel ermäßigt besteuert: mit 7 Prozent. In Frankreich gilt ebenfalls eine ermäßigte Besteuerung. Allerdings gibt es dort drei Möglichkeiten: 2,1 Prozent, 5,5 Prozent und 10 Prozent. Die Wahrheit liegt in diesem Beispiel in der Mitte: bei 5,5 Prozent.
Wie kann nun ein Onlinehändler mit einem Sortiment von 1.000 Produkten und Steuerpflichten in allen EU-Staaten ab dem 1.7.2021 für alle 1.000 Produkte und alle EU-Staaten rechtssicher die Steuersätze bestimmen?
Das wird letztlich nur automatisiert möglich sein – z.B. über ein eindeutiges Produktmerkmal wie z.B. die sogenannte Zolltarifnummer. Mithilfe der Zolltarifnummer kann jedes Produkt weltweit klassifiziert werden, sodass auch eine automatisierte Bestimmung der Steuersätze – dann über entsprechende Datenbanken – möglich ist.
Der OSS wird vieles einfacher und effizienter machen. Allerdings wird er auch dazu führen, dass man sich intensiv Gedanken über die Bestimmung von Steuersätzen machen muss. Auch die Verwendung von Warenlagern oder Betriebsstätten im EU-Ausland wird lokale Registrierungen nicht überflüssig machen und dazu führen, dass zwingend jede einzelne Transaktion von euch automatisiert umsatzsteuerlich bewertet werden sollte.
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Über den Autor
Roger Gothmann ist Co-Founder und Geschäftsführer der Compliance-Plattform Taxdoo, über die Onlinehändler aller Größen ihre Umsatzsteuer im EU-Ausland sowie ihre Finanzbuchhaltung automatisiert abwickeln können. Roger hat viele Jahre für die Bundes- und Landesfinanzverwaltung im Bereich Umsatzsteuer gearbeitet und zuletzt die Steuerabteilung einer internationalen Forschungseinrichtung geleitet. Zu den Kunden von Taxdoo gehören Unternehmen wie Beiersdorf, Purelei, Yfood und air up.
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